Bruno Seidler-Winkler war ein universeller Musiker, der sein Leben hauptsächlich in den Dienst der Schallplatte gestellt hat. Am bekanntesten für Sammler wurde er dadurch , dass er zwischen 1903 und 1923 Aufnahmeleiter bei der Deutschen Grammophon war und bei unzähligen Aufnahmen der Klavierbegleiter oder Orchesterdirigent und Arrangeur des Grammophon-Orchesters war. Absolutes Gehör, Wendigkeit und blitzschnelle musikalische Auffassungsgabe sowie technisches Verständnis für die besonderen Bedingungen der Schallaufnahme zeichneten ihn aus und machten ihn zum universellen musikalischen Begleiter und Produzenten in der Frühzeit und Blütezeit der Schallplatte.
Vor einigen Jahren (ca. 2005 oder eher) erschien in Sammlerkreisen eine CD, auf der sein Sohn Ralph Winkler über das Leben seines Vaters erzählte. Obwohl ich diese nur als Kopie habe und das Original-Cover nicht kenne, möchte ich sie hier teilen, angeregt durch den Artikel meines Blog-Freundes Satyr (http://satyr78kl.blogspot.de/2016/06/bruno-seidler-winkler-1936-1939.html ).
Biographische Erzählungen sind nie objektiv, sondern beinhalten Geschichten, die der Erzähler nach seinem Erleben umgestaltet hat und die seiner Lebenswirklichkeit entsprechen. Auch die Erzählungen von Ralph Winkler enthalten Aussagen, die man hinterfragen kann und die nicht immer die ganze Wahrheit wiedergeben (können). Dennoch kann man einige Fakten zusammenstellen, die das Leben von Bruno Seidler-Winkler in den wichtigsten Umrissen erkennen lassen.
Bruno Seidler-Winkler wurde 1880 in eine kinderreiche Familie geboren. Sein Vater leitete das Seidler-Orchester (ein professionelles Klassik- und Unterhaltungsorchester) in Berlin und war Klavierstimmer. Bruno lernte bereites mit vier Jahren das Klavierspielen und musste schon früh durch Auftritte in Tanzlokalen etc. mit für das Familieneinkommen sorgen. Er arrangierte, spielte vom Blatt, transponierte vom Blatt und hatte ein Ohr für das, was klingt und wirkt. Früh arbeitete er bei der Edison-Gesellschaft, allerdings bestimmt nicht ab 1888, wie Ralph Winkler nahelegt, sondern vielleicht ab 1898 oder 1899. 1903 wechselte er zur Deutschen Grammophongesellschaft und wurde künstlerischer Direktor dieser Schallplattenfirma und damit verantwortlich für die künstlerische Seite der Aufnahmen unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten. 1923, also in der Zeit der Inflation und Armut in Deutschland, wollte er zur Brunswick nach Amerika wechseln. Nach knapp zwei Jahren wurde er vertragsbrüchig und kehrte nach Berlin zurück, weil er den Posten des Chefdirigenten beim neugegründeten Rundfunk-Symphonieorchesters Berlin angeboten bekam (Funkstunde Berlin). Parallel arbeitete er für die Schallplattenfirma Tri-Ergon. 1933 nach dem Machtantritt der Nazis musste er den Posten aufgeben, weil er als Jude bezeichnet wurde. Ralph Winkler deutet an, dass ein paar jüdische Vorfahren im Stammbaum waren. Dass seine Entlassung hauptsächlich daran lag, dass er einen amerikanischen Wagen fuhr und gerne französische Instrumente verwendete, ist vermutlich eher eine schöne Legende von Ralph Winkler. So hatte BSW wohl ab 1933 Berufsverbot, bis ihn 1935 die Electrola, die in englischem Besitz war, als Dirigent und Begleiter einstellte. Hier arbeitete er auch mit dem Meister-Sextett, den Resten der aufgelösten Comedian Harmonists. 1943 endete kriegsbedingt die Aufnahmetätigkeit in Berlin, und er wurde zusammen mit seiner Frau kriegsdienstverpflichtet für die Truppenbetreuung. Ralph Winkler erzählt, dass er und seine Frau vierhändig für Soldaten Klavier spielten und andere Musiker und Sänger bei Truppenkonzerten begleitete.
Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete er noch als Arrangeur beim RIAS Berlin und für die Rixdorfer Blasmusik, trat aber nicht mehr auf, weil sein Gehör stark gelitten hatte. 1960 erhielt er zum 80. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz und starb wenige Wochen danach. Manches von seinem Charakter bleibt undeutlich, aber die Erzählungen seines Sohnes lassen doch manche Anekdote lebendig werden. Am Ende der CD werden noch zwei Aufnahmen mit Marcel Wittrisch vorgestellt, von denen er eine arrangiert hat..
Teile der Erzählungen von der CD sind abgedruckt auf der Website "Podium Wolfgang Wendel" (siehe hier). Die Bilder habe ich auch von dort kopiert. Ich hoffe, dass Herr Wendel nichts dagegen hat und empfehle das Studium seiner zahlreichen Beiträge über Musiker und historische Aufnahmen. Er bietet auch selbst produzierte CDs an, vor allem mit historischen Geigenaufnahmen von Vasa Prihoda und Georg Kulenkampff. Es ist möglich, dass die Ralph Winkler-CD von Herrn Wendel selbst herausgegeben wurde. Ich habe sie aber in seinen Verzeichnissen nicht gefunden, und es ist auch nicht zu erkennen, ob die Website in den letzten Jahren gepflegt wurde (die letzten angegebenen Termine sind von 2013).
"Mein Vater Bruno Seidler Winkler" - unknown interview CD with his son Ralph Winkler
(tracked and tagged by me)
DOWNLOAD MP3
Here you can get an Interview CD (in German) with the son of Bruno Seidler-Winkler about his life and work. He also tells anecdotes about Richard Strauss, Marcel Witrisch and others. Among collectors BSW is known as the chief pianist, arranger and conductor of the Deutsche Grammophon Gesellschaft from 1903 until 1923, i.e. nearly the whole acoustic area. He participated in thousands and thousands of recordings and guaranteed the artistical quality of the recordings for the Deutsche Grammophon Gesellschaft. From 1925 until 1934 he worked for the German Broadcast as principal conductor of the Symphony orchestra. In parallel he recorded for the short-lived record company Tri-Ergon. Under the Nazis he lost the work at the broadcast (maybe because of some Yewish ancestors) and continued working for the Elctrola from 1935 until 1943 when due to the war recordings stopped. Until the end of the war he served as musical entertainer and accompanist for singers for concerts for soldiers. After the war he worked a few years as an arranger and retired, becaus his hearing was impaired. In 1960 he died.
You can hear him accompanying on nearly every acoustical German Grammophon record and on some late recordings in the blog of Satyr, whose article inspired me to look for informations about this recording pioneer and versatile musician. Hear him conducting music for the Olympic games, which were held in Berlin as a big Nazi propaganda event nearly exactly eighty years ago.
Satyr: http://satyr78kl.blogspot.de/2016/06/bruno-seidler-winkler-1936-1939.html
A blog where you can find some more photos and a few informations about the CD:
http://www.podium-wendel.de/222.html
Bruno Seidler-Winkler |
Biographische Erzählungen sind nie objektiv, sondern beinhalten Geschichten, die der Erzähler nach seinem Erleben umgestaltet hat und die seiner Lebenswirklichkeit entsprechen. Auch die Erzählungen von Ralph Winkler enthalten Aussagen, die man hinterfragen kann und die nicht immer die ganze Wahrheit wiedergeben (können). Dennoch kann man einige Fakten zusammenstellen, die das Leben von Bruno Seidler-Winkler in den wichtigsten Umrissen erkennen lassen.
Bruno Seidler-Winkler wurde 1880 in eine kinderreiche Familie geboren. Sein Vater leitete das Seidler-Orchester (ein professionelles Klassik- und Unterhaltungsorchester) in Berlin und war Klavierstimmer. Bruno lernte bereites mit vier Jahren das Klavierspielen und musste schon früh durch Auftritte in Tanzlokalen etc. mit für das Familieneinkommen sorgen. Er arrangierte, spielte vom Blatt, transponierte vom Blatt und hatte ein Ohr für das, was klingt und wirkt. Früh arbeitete er bei der Edison-Gesellschaft, allerdings bestimmt nicht ab 1888, wie Ralph Winkler nahelegt, sondern vielleicht ab 1898 oder 1899. 1903 wechselte er zur Deutschen Grammophongesellschaft und wurde künstlerischer Direktor dieser Schallplattenfirma und damit verantwortlich für die künstlerische Seite der Aufnahmen unter Berücksichtigung der technischen Möglichkeiten. 1923, also in der Zeit der Inflation und Armut in Deutschland, wollte er zur Brunswick nach Amerika wechseln. Nach knapp zwei Jahren wurde er vertragsbrüchig und kehrte nach Berlin zurück, weil er den Posten des Chefdirigenten beim neugegründeten Rundfunk-Symphonieorchesters Berlin angeboten bekam (Funkstunde Berlin). Parallel arbeitete er für die Schallplattenfirma Tri-Ergon. 1933 nach dem Machtantritt der Nazis musste er den Posten aufgeben, weil er als Jude bezeichnet wurde. Ralph Winkler deutet an, dass ein paar jüdische Vorfahren im Stammbaum waren. Dass seine Entlassung hauptsächlich daran lag, dass er einen amerikanischen Wagen fuhr und gerne französische Instrumente verwendete, ist vermutlich eher eine schöne Legende von Ralph Winkler. So hatte BSW wohl ab 1933 Berufsverbot, bis ihn 1935 die Electrola, die in englischem Besitz war, als Dirigent und Begleiter einstellte. Hier arbeitete er auch mit dem Meister-Sextett, den Resten der aufgelösten Comedian Harmonists. 1943 endete kriegsbedingt die Aufnahmetätigkeit in Berlin, und er wurde zusammen mit seiner Frau kriegsdienstverpflichtet für die Truppenbetreuung. Ralph Winkler erzählt, dass er und seine Frau vierhändig für Soldaten Klavier spielten und andere Musiker und Sänger bei Truppenkonzerten begleitete.
Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete er noch als Arrangeur beim RIAS Berlin und für die Rixdorfer Blasmusik, trat aber nicht mehr auf, weil sein Gehör stark gelitten hatte. 1960 erhielt er zum 80. Geburtstag das Bundesverdienstkreuz und starb wenige Wochen danach. Manches von seinem Charakter bleibt undeutlich, aber die Erzählungen seines Sohnes lassen doch manche Anekdote lebendig werden. Am Ende der CD werden noch zwei Aufnahmen mit Marcel Wittrisch vorgestellt, von denen er eine arrangiert hat..
Teile der Erzählungen von der CD sind abgedruckt auf der Website "Podium Wolfgang Wendel" (siehe hier). Die Bilder habe ich auch von dort kopiert. Ich hoffe, dass Herr Wendel nichts dagegen hat und empfehle das Studium seiner zahlreichen Beiträge über Musiker und historische Aufnahmen. Er bietet auch selbst produzierte CDs an, vor allem mit historischen Geigenaufnahmen von Vasa Prihoda und Georg Kulenkampff. Es ist möglich, dass die Ralph Winkler-CD von Herrn Wendel selbst herausgegeben wurde. Ich habe sie aber in seinen Verzeichnissen nicht gefunden, und es ist auch nicht zu erkennen, ob die Website in den letzten Jahren gepflegt wurde (die letzten angegebenen Termine sind von 2013).
Bruno Seidler-Winkler mit Frieda Hempel |
"Mein Vater Bruno Seidler Winkler" - unknown interview CD with his son Ralph Winkler
(tracked and tagged by me)
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Bruno Seidler-Winkler mit seinem Sohn Ralph |
Here you can get an Interview CD (in German) with the son of Bruno Seidler-Winkler about his life and work. He also tells anecdotes about Richard Strauss, Marcel Witrisch and others. Among collectors BSW is known as the chief pianist, arranger and conductor of the Deutsche Grammophon Gesellschaft from 1903 until 1923, i.e. nearly the whole acoustic area. He participated in thousands and thousands of recordings and guaranteed the artistical quality of the recordings for the Deutsche Grammophon Gesellschaft. From 1925 until 1934 he worked for the German Broadcast as principal conductor of the Symphony orchestra. In parallel he recorded for the short-lived record company Tri-Ergon. Under the Nazis he lost the work at the broadcast (maybe because of some Yewish ancestors) and continued working for the Elctrola from 1935 until 1943 when due to the war recordings stopped. Until the end of the war he served as musical entertainer and accompanist for singers for concerts for soldiers. After the war he worked a few years as an arranger and retired, becaus his hearing was impaired. In 1960 he died.
You can hear him accompanying on nearly every acoustical German Grammophon record and on some late recordings in the blog of Satyr, whose article inspired me to look for informations about this recording pioneer and versatile musician. Hear him conducting music for the Olympic games, which were held in Berlin as a big Nazi propaganda event nearly exactly eighty years ago.
Satyr: http://satyr78kl.blogspot.de/2016/06/bruno-seidler-winkler-1936-1939.html
A blog where you can find some more photos and a few informations about the CD:
http://www.podium-wendel.de/222.html
Ralph Winkler, born 1924 in New York |