Hier folgen zwei kleine Serien von Aufnahmen von zwei Wagner-Tenören, die außer diesen paar Titeln auf Grammophon keine (Oestvig) oder kaum (Taucher - einige wenige Titel auf Parlophon) weitere Aufnahmen hinterlassen haben. Ich habe sie von einer Preiser-LP überspielt (LV 1343).
Curt Taucher, Bild vom Cover der Preiser-LP LV 1343 |
Einhard Luther schreibt auf der Rückseite der LP über Curt Taucher (25.X.1885 bis 7.VIII. 1954):
Der Ruf eines Sängers, heute weitgehend bestimmt von seiner Schallplattenaktivität, war bis etwa zum Ende der zwanziger Jahre fast unabhängig von diesem in unserer Zeit weltbeherrschenden Medium. Daß der Nachruhm eines Sängers fast ausschließlich von der Schallplatte abhängt, darüber kann kaum ein Zweifel bestehen. Wieweit die uns überlieferten Platten allerdings der wirklichen Leistungsfähigkeit eines Sängers gerecht werden, ist eine andere Frage. In den ersten Jahren und Jahrzehnten der Aufnahmetechnik waren die Schwierigkeiten, große Stimmen zu konservieren, naturgemäß weit größer als heute. Mancher Künstler aus der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts hat lieber auf den Nachruhm verzichtet, als sich der unsicheren und vielleicht nicht immer naturgetreuen Konservierung der Schallplatte anzuvertrauen. Offenbar gehörte auch der Dresdener Heldentenor Curt Taucher zu diesen mißtrauischen Sängern. Dabei lassen Berichte und Rezensionen vermuten, daß er zu den interessantesten Sängerdarstellern seiner Generation gehörte - ohne Zweifel war er einer der prominentesten Wagnersänger der zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Geboren wurde er am 25. Oktober 1885 in Nürnberg. Er studierte in München bei Heinrich Hermann Gesang und begann seine Karriere im Jahre 1908 am Stadttheater von Augsburg. Schon im November 1908, wenige Wochen nach seinem Bühnendebüt, gastierte er am Münchener Nationaltheater, dem begehrtesten Ziel aller deutschen Opernsänger jener Zeit - natürlich als Faust, da er noch keine andere Partie im Repertoire hatte. Obwohl Felix Mottl so beeindruckt war, daß er dem jungen Tenor sofort einen Vertrag anbot, blieb Taucher selbst realistisch. Er wußte, daß er das erste Fach in München noch nicht singen konnte, und die Konkurrenz von Heinrich Knote war zu erdrückend, als daß ein Anfänger sich hätte durchsetzen können. So lehnte er das Münchener Angebot ab und kehrte für drei Jahre nach Augsburg zurück. Hätte es Taucher damals nach einer schnelleren Karriere gedrängt -das Beispiel seines Kollegen und Freundes Wilhelm Ulmer wäre ihm die deutlichste Warnung gewesen. Ein Jahr nach Tauchers Debüt begann Ulmer ebenfalls in Augsburg seine Karriere. Er wählte als erste Partie den Siegmund in der „Walküre" und wurde sofort als Wagnersänger eingestuft. In Augsburg sang er nur noch den Tannhäuser, dann wurde er nach Zürich engagiert, wirkte dort in der Erstaufführung des Parsifal mit und trat 1914 in Bayreuth als Froh und Siegmund auf; zu dem vorgesehenen Parsifal kam es durch den Kriegsausbruch nicht mehr. Offenbar hatte sich Ulmer aber bereits so verausgabt, daß seine hoffnungsvolle Karriere bereits nach wenigen Jahren beendet war: 1920 wird er zum letzten Mal im Deutschen Bühnenjahrbuch erwähnt; danach verliert sich seine Spur. Taucher, obwohl zwei Jahre jünger als Ulmer, hatte den Freund schon in Augsburg gewarnt, sich zu früh auf ein Fach festzulegen, freilich ohne Erfolg. Als Ulmer jedoch bereits von der Bühne zurückgetreten war, begann erst Tauchers große Karriere, die ihn auf die wichtigsten Bühnen der Welt führte. 1911 ging Taucher nach Chemnitz, wo er 1914 der erste Parsifal war. 1915 nahm er eine Verpflichtung nach Hannover an und kam 1920 an die Dresdener Staatsoper, der er bis zum Ende seiner Laufbahn 1935 angehörte. In Dresden vertrat Taucher zusammen mit Fritz Vogelstrom das Wagnerfach; Tristan und Siegfried galten auch international als seine Domäne. Im Sommer 1922 trat er bei den Züricher Festspielen auf, zunächst in der Uraufführung der Oper „Venus" von Othmar Schoeck, über die Gebhard Reiner in der Zeitschrift „Die Musik" folgende Kritik schrieb: „Glänzend, intelligent und beseelt verkörperte Curt Taucher die Gestalt des Horace. Seine überragende Leistung ließ das Interesse der Hörer nicht einen Augenblick erlahmen und führte die wertvolle Schöpfung zu einem sicheren Siege." Mit Emmy Krüger, Karin Branzell, Friedrich Plaschke und Paul Bender wirkte Taucher dann in einer „Tristan"-Aufführung der Festspiele unter Bruno Walters Leitung mit, die derselbe Rezensent den „Höhepunkt des ganzen Zyklus" nannte. Am 23. November 1922 debütierte Taucher als Siegmund an der New Yorker Metropolitan Opera und sang dort bis 1927 alle Wagnerhelden, dazu den Max in Webers „Freischütz" und den Giovanni in „Mona Lisa" von Max von Schillings, zunächst alternierend mit Orville Harrold, dann mit Rudolf Laubenthal, Lauritz Melchior und Walter Kirchhoff. Von 1927 bis 1934 trat er alljährlich bei den Münchener Opernfestspielen als Tristan und Siegfried auf, gastierte 1930 an der Wiener Staatsoper und sang 1932 in London Tristan und Tannhäuser.
Sein Repertoire in Dresden jedoch war fast unbegrenzt. Er sang den Sly in Wolf-Ferraris gleichnamiger Oper und „bot eine dramatische Charakterleistung von höchster Einprägsamkeit; es war sozusagen gesungener Shakespeare-Stil (Eugen Schmilz in „Die Musik"); die Uraufführung des Einakters „Der Protagonist" von Kurt Weill wurde „eine Sehenswürdigkeit durch die fabelhafte Leistung Tauchers, der in der Titelrolle eine darstellerische Kraft entfaltete, wie sie selten auf der Opernbühne gesehen wird" („Die Musik" 1926); Taucher wirkte in Max Brands „Maschinist Hopkins" mit, in Mark Lothars „Lord Spleen", in Graeners Hauptmann-Veroperung „Hanneles Himmelfahrt", in Weinbergers „Schwanda", er sang den „Armen Heinrich" von Pfitzner und dessen Palestrina, und natürlich alle Tenorpartien in den Opern von Richard Strauss, dessen Menelas in der „Ägyptischen Helena" er in der Uraufführung verkörperte. Mit dem Ende der Spielzeit 1934/35, zu seinem 50. Geburtstag, beendete Taucher seine Sängerkarriere. Er wollte sich nicht auf die „interessanten" Charakterpartien zurückziehen, weil ihm die „zu wenig sangbar" erschienen. Mit 50 Jahren aber, so meinte er, sei die äußerste Grenze erreicht, wo man die stimmliche Kraft und den jugendlichen Elan für Siegfried und Tristan noch darstellen könne. Er zog sich auf sein Landgut nach Bad Aibling zurück. Nach längerer Krankheit entschloß er sich 1954 zu einer gefährlichen Operation, die er nicht lange überlebte. Am 7. August 1954 ist er in München gestorben. Von seiner hellen, metallischen Stimme sind nur wenige Schallplatten erhalten, die seine gesanglichen Fähigkeiten und seine künstlerische Ausdruckskraft nur erahnen lassen.
Einhard Luther
Karl Aagaard Oestvig, Foto vom Cover der Preiser-LP LV 1343 |
Der zweite Sänger ist Karl Aagaard Oestvig (17.V.1889 laut Sängerlexikon --unten ist eine andere Angabe-- bis 21.VII.1968). Die sechs Titel unten sind die einzigen Aufnahmen auf 30 cm-Platten, die er hinterlassen hat (die beiden 25-cm-Titel werden später in diesem Blog in einem anderen Zusammenhang erscheinen).
Dr. Anton Odelga schreibt auf der Rückseite der Preiser-LP über ihn:
Karl Aagaard Oestvig, am 27. Mai 1889 in Oslo geboren und dort am 21. Juli 1968 verstorben, hatte schon das Füllhorn des Schicksals verschwenderisch ausgestattet. Blond, blauäugig, bildschön, mittelgroß und schlank eignete ihm eine weiche, warme, edel timbrierte lyrische Tenorstimme, die allerdings durch Überanstrengung in dramatischen Rollen bald verdickt und ihre magische Ausstrahlung nicht lange behielt. Dazu verstärkte leidenschaftliches Spiel von besonderer Intensität noch seine Bühnenwirkung. Im Kölner Konservatorium ausgebildet, fand er sogleich Beachtung, als er in Max Schillings Oper „Mona Lisa" die Tenorrolle in Stuttgart kreierte. Nach einem begeistert aufgenommenen Gastspiel im Mai 1918, das in einem visionär entrückten Lohengrin gipfelte, trat er im September 1919 sein Engagement in Wien an, um schon im Oktober in der Uraufführung der „Frau ohne Schatten" mit seinem Kaiser eine weltenfern entrückte Gestalt voll märchenhafter Poesie zu schaffen. In gleicher Weise gestaltete er auch das gefährliche Schwanken zwischen Wirklichkeit und Irrealität als Paul in der „Toten Stadt", die er mit Maria Jeritza zum Welterfolg führte. Sein Don Jose von erschütternder Tragik in der letzten Szene, sein Walther Stolzing, der nicht als lächelnder Sieger, sondern mit angestrengtester Miene und unerschütterlichem Vorsatz, die ihm so schlecht gesinnten Meister zu bezwingen, das Sängerpodest betrat, sein ergreifender Parsifal, der blendend schöne jugendliche Gott Bacchus und schließlich sein gotttgesandter Lohengrin, der nicht von dieser Welt kam, haften unvergeßlich mit vielen anderen mehr lyrischen Leistungen im Gedächtnis. In Madame Butterfly stand er mit der eben ihr Konservatoriumsstudium beendeten Maria Rajdl auf der Bühne, deren süße, zauberhafte Stimme nicht nur das Publikum, sondern auch ihn selbst gefangen nahm; die beiden bildeten zusammen auf der Bühne, aber auch im Leben ein Liebespaar, dessen Gemeinschaft zwar nicht neunhundertundneunundneunzig Jahre, aber doch fast ein halbes Jahrhundert dauerte. Im Jahre 1926 verließen beide Wien, die weitere Opernkarriere endete jedoch bereits 1930. Eine Zeit lang leitete Oestvig in Oslo die Oper, hatte dann jedoch unter Anfeindungen zu leiden und lebte verbittert als Gesangslehrer und Dramaturg bis zu seinem Tode in Oslo.
Dr. Anton Odelga
Diese Formulierungen sind vielleicht etwas übertrieben, denn Oestvig wurde unter der deutschen Besatzung im Jahr 1941 zum Leiter der Oper in Oslo ernannt und dafür nach dem Krieg als Kollaborateur beschuldigt. Ob er darüber wirklich bis an sein Lebensende verbitterte war, wage ich zu bezweifeln. Ich denke eher, dass in den 70er Jahren, als diese LP erschien, das Nachdenken über die Nazizeit und der offene Umgang damit noch nicht so üblich waren, so dass dann so ein undurchsichtiges Geraune herauskam, das weder Ross noch Reiter nennt.
Karl Aagard Oestvig, vermutlich als junger Parsifal (1.Akt) |
The as-Project (4): Curt Taucher
748 as - Lohengrin: Nun sei bedankt (Gram. 72774)
749 as - Meistersinger: Morgendlich leuchtend (Gram. 72781)
755 as - Boheme: Wie eiskalt ist dies Händchen (Gram. 72782)
756 as - Götterdämmerung: Mime hiess ein mürrischer Zwerg (1) (Gram. 72831)
757 as - Götterdämmerung: In Leid zu den Wipfeln (2) (Gram. 72832)
758 as - Der kleine Marat: 's ist Morgen, nimm, flieh, rette Dich! (Mascagni, 72773)
748 as - 758 as rec. early 1922
Karl Aagaard Oestvig
905 as - Walküre: Winterstürme wichen dem Wonnemond (Gram. 72826)
906 as - Lohengrin: In fernem Land (Gram. 72827)
907 as - Lohengrin: Mein lieber Schwan (Gr. 72828)
908 as - Meistersinger: Morgendlich leuchtend (Gr. 72829)
909 as - Meistersinger: Fanget an! (Gr. 72830)
904 as - 909 as rec. ca. October 1922
DOWNLOAD MEDIAFIRE MP3 256 kB/s
Here you find two Wagner tenors who have recorded in the as-series. Oestvig has made his only recordings there (with two additional 25cm titles which will be presented later). Taucher has only left these recordings and a few titles on Parlophon. I only know the Walküre duet with Seinemeyer - maybe there were some more. The titles come from a Preiser LP. The text on the LP cover is given above.